Schnuller vs Daumen
Manche Kinder wollen einen Schnuller, andere ihren Daumen. Manche brauchen weder das Eine noch das Andere. Ist das nun gut oder schlecht?
In diesem Beitrag teilt die Therapiewissenschaftlerin Patricia Pomnitz von Sprachgold ihr Wissen mit Euch, damit Ihr einen eigenen bedürfnisorientierten Umgang mit Schnuller & Daumen finden könnt.
Vorteile von Daumen und Schnuller
Dein Baby hat ein angeborenes Saugbedürfnis. Das Saugen ermöglicht das Trinken und aktiviert das Verdauungssystem. Auch nicht-nahrhaftes Saugen setzt Endorphine frei, die beruhigend wirken & Stress reduzieren. Daumenlutschen und Schnullern befriedigen das natürliche Saugbedürfnis Deines Babys und wirken beruhigend & entspannend. Es wird zudem vermutet, dass der Schnuller einen positiven Einfluss auf die Schlaftiefe und Erweckbarkeit des Babys hat und die Gefahr des plötzlichen Kindstodes im Schlaf senkt. Dies trifft allerdings nur auf nicht-gestillte Säuglinge zu. Man sollte daraus also nicht schlussfolgern, dass alle Kinder von einem Schnuller profitieren.
Was passiert beim Saugen an Schnuller & Daumen?
Das Saugen an Schnuller oder Daumen entspricht nicht dem Saugen an der Brust, weshalb sich Kiefer- und Gesicht anders entwickelen, als sie es physiologisch tun würden. Brustwarze und Babymund passen sich einander an. Beim Saugen an der Brust wirken Kräfte nach Außen, beim Saugen am Schnuller oder Daumen wirken sie nach innen. Dies hat eine grundlegend unterschiedliche Wirkung auf den Muskeltonus der Mund- und Gesichtsmuskulatur. Und dies hat wiederum Einfluss auf den ganzen Körper, denn die orofaciale Muskulatur formt den Gesichtsschädel und dieser ist mit der Wirbelsäule verbunden.
Schauen wir uns das etwas genauer an:
- Untersuchungen zeigen, dass der Schnuller den Stillstart und die Milchbildung schwieriger machen kann; Dauernuckeln am Schnuller kann dazu führen, dass Hungerzeichen vom Baby nicht rechtzeitig wahrgenommen werden. Das Baby gewöhnt sich dann an gewisse Fastenperioden, die nicht physiologisch sind. Babys mit Schnuller können sich früher abstillen. Das sogenannte nonnutritive Saugen wird verhindert. Hier wird schneller, aber weniger tief gesaugt, was zum Rückgang der Milchmenge führen kann.
- Die orale Phase des Kindes ist u.a. für das Erleben der Umwelt wichtig. Es erfährt seine Welt durch alle Sinne. Dazu gehört auch das orale Ertasten. Wenn ein Kind häufig schnullert oder den Daumen im Mund hat, fällt diese Stimulation des Gehirns leider weg, da es in dieser Zeit keine anderen Dinge oral erkunden kann.
- Schnuller oder Daumen haben großen Einfluss auf die orofaciale Muskulatur, also die Muskeln, die wir zum Sprechen und Schlucken benötigen.In der Logopädie nennen wir das eine „Myofunktionelle Störung“, die einer Therapie bedarf:
- Sind Schnuller und Daumen im Mund wird der normale Kieferschluss und die normale Zungenposition im Mund behindert. Die Zunge liegt schlaff und weiter vorn im Mundboden, statt am Gaumen. Viele schnullernde oder daumenlutschende Kinder haben einen hohen schmalen Gaumen, weil der Kontakt der Zunge am Gaumen fehlt und der Daumen Druck ausübt. Die beeinträchtigte Zungenmuskulatur erschwert das richtige Schlucken. Statt an den Gaumen wird die Zunge bei jedem Schluck an oder zwischen die Zähne gedrückt. Kiefer- und Zahnfehlstellungen (z.B. ein offener Biss) sind häufige Folgen.
- Durch den fehlenden Mundschluss erschlaffen auch die Wangen- und Lippenmuskulatur. Die Kinder atmen durch den offenen Mund, statt durch die Nase. Die Mundatmung erhöht wiederum das Infektionsrisiko (bakterielle Infekte, Mittelohrentzündung, Bronchitis, Mandelentzündungen, Polypen etc.) da die Luft ungefiltert in den Organismus strömt. Vergrößerte Rachen- und Gaumenmandeln erschweren wiederum die Nasenatmung, wodurch das Kind immer häufiger auf die Mundatmung zurückgreifen muss. Ein Teufelskreis entsteht, der letztlich auch die Sprachentwicklung beeinflussen kann!
Wie beeinflussen Schnuller & Daumen die Sprach- und Sprechentwicklung?
Für die Bildung von Sprachlauten müssen die Sprechwerkzeuge (Lippen, Zunge, Wangen) präzise und koordiniert miteinander arbeiten. Sind Zungen- Lippen- und Wangenmuskulatur in ihrem Zusammenspiel gestört, weil wie oben beschrieben die Muskulatur zu schlaff, in ihrem Bewegungsausmaß und in ihrer Kraft eingeschränkt ist, beeinflusst dies natürlich auch das Sprechen! Häufig werden die Zischlaute (s, z, sch, ch) falsch ausgesprochen. Im Volksmund spricht man auch vom „Lispeln“; dabei rutscht die Zunge bei der Bildung der genannten Laute zwischen oder an die Zähne, wodurch unschöne Nebengeräusche entstehen. Manchmal sind auch die Laute (l,n,d,t) betroffen. Insgesamt klingt die Aussprache verwaschen und unverständlich. In der Sprachtherapie nennen wir das eine „Artikulationsstörungen“, die logopädisch behandelt werden muss.
Untersuchungen zeigen zudem, dass Kinder, die länger schnullern und am Daumen lutschen im ersten Lebensjahr häufiger Mittelohrenzündungen haben. Die damit einhergehende Hörminderung kann das Sprechenlernen beeinflussen, denn wenn ich Sätze, Wörter und Sprachlaute nicht richtig wahrnehme, kann ich sie auch nicht richtig in meinem Sprachsystemn abspeichern!
Was Du auch bedenken solltest: Kinder, die ständig schnullern, sprechen weniger und es entstehen weniger Dialoge, in denen das Sprechen gelernt werden kann! Denn Untersuchungen zeigen, wenn ein Kind ruhig ist und weniger die Initiative zur Kommunikation ergreift, spricht auch das Umfeld weniger mit ihm. Dadurch geht dem Kind wichtige sprachliche Anregung verloren!
Was bedeutet das nun für meinen Alltag?
Achte darauf, dass aus einem vorübergehenden Bedürfnis keine (schlechte) Angewohnheit wird!
Daumen
Der Daumen ist härter als der Schnuller und übt damit stärker Druck auf Zähne und Kiefer aus. Zudem lässt sich das Daumenlutschen schwerer abgewöhnen, denn der Finger ist für Dein Kind jederzeit verfügbar. Kinder, die am Daumen lutschen, gewöhnen sich das Nuckeln daher meist später ab als Schnullerkinder. Deshalb ist der Schnuller das kleinere Übel. Die deutsche Zahnärztekammer gibt jedoch auch zu bedenken: der Daumen bleibt im Alltag meist nicht so häufig und so lange im Mund, denn beim Spielen werden beide Hände benötigt. Im Gegensatz dazu kann der Schnuller auch während des Spiels im Mund verbleiben.
Schnuller
Fest steht: einen kiefergerechten Schnuller gibt es nicht! Wenn Dein Kind einen Schnuller braucht, dann nutzt ihn wohldosiert! Beispielsweise zum Einschlafen und dann vorsichtig aus dem Mund nehmen. Oder bei Bedarf, z.B. wenn sich das Baby anderes nicht beruhigen lässt. Achte beim Schnuller vor allem auf zwei Dinge:
1. Die richtige Form des Schnullers: Der Schnuller wächst nicht mit! Benutze also immer den kleinsten Schnuller! Das Saugteil sollte klein, flach und weich sein, damit er sich dem Babymund anpassen kann und so wenig Platz wie möglich im Mundraum einnimmt. Die Zunge bleibt somit beweglich und wird nicht nach unten gedrückt.
Der Schaft des Schnullers sollte klein sein, die Lippen müssen den Schnuller halten können. Ist das nicht möglich wird der Schnuller durch die Zunge festgehalten, das stört das oben genannte Gleichgewicht der Mundmuskulatur. Wichtig ist auch das Gewicht des Schnullers. Ist er zu schwer, überfordert er die Lippen- und Zungenmuskulatur. Achtung: Schullerkettchen können das Gewicht des Schnullers erhöhen!
2. Die Situation und die richtige Dosis: Es wird erstens empfohlen, den Schnuller in den ersten 4-6 Wochen, also bis das Stillen etabliert ist, nicht zu geben. Und zweitens sollte sich die Nutzung bei Säuglingen auf das Schlafen beschränken. Ab dem 6. Lebensmonat wird empfohlen den Schnuller nur mehr nachts geben.
Fazit
Die Schwere der schädlichen Auswirkungen von Schnuller & Daumen hängen von Intensität, Häufigkeit und Dauer seiner Verwendung ab. Reduziere also die Zeit der Nutzung auf ein Minimum und achte darauf, dass Schnuller oder Daumen nicht zur Routine werden. Die Kinder- und Zahnarztverbände empfehlen eine Abgewöhnung spätestens bis zum 3. Geburtstag. Es ist wie so oft: Der richtige Weg liegt in einem reflektierten und ausgewogenen Umgang!
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